Unterschiede in der Begleitung, Erziehung und im Lernen: Jungs vs. Mädchen

Was Thema der unterschiedlichen Entwicklung, des Lernens, der Erziehung und Begleitung von Jungen und Mädchen ist vielschichtig und kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. In diesem Zusammenhang möchte ich heute eine integrative Perspektive einnehmen und dir Einblicke aus einer bindungsorientierten, bewussten und neurowissenschaftlichen Sichtweise vermitteln.

Dabei stütze ich mich auf einen Vortrag von Prof. Dr. Gerald Hüther, den er 2016 im Rahmen des Girls‘ Day hielt, mit dem Thema „Mädchen und Jungen – wie verschieden sind sie?“. Hüther erklärt auf humorvolle und bodenständige Weise neurobiologische und psychologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die sich auf Wahrnehmung, Emotionen und Lernverhalten auswirken.

Es zeigt sich, dass Jungen und Mädchen nicht nur biologisch, sondern auch emotional und kognitiv unterschiedlich entwickeln. Neurowissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass sich Gehirnstrukturen bei beiden Geschlechtern unterschiedlich ausprägen, was die Wahrnehmung und das Lernen beeinflusst. So entwickeln Mädchen häufig schneller ihre sozialen und sprachlichen Fähigkeiten als Jungen.

Mädchen tendieren dazu, mehr auf zwischenmenschliche Bindungen und das Wahrnehmen von Gefühlen fokussiert zu sein, was sich auch in ihrer Gehirnstruktur widerspiegelt. Dies führt zu einer stärkeren Empathie und besseren Kommunikationsfähigkeiten, die bei sozialen Interaktionen von großer Bedeutung sind. Jungen hingegen sind oft stärker auf die Welt der Objekte und Strukturen ausgerichtet. Sie entwickeln eine intensivere Vernetzung in motorischen und räumlichen Gehirnarealen, was zu einer höheren Neigung zu körperlichen Aktivitäten und einem anderen Lösungsansatz bei Problemen führt.

Hüther hebt hervor, dass gesellschaftliche Normen und Erziehung einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Mädchen und Jungen haben. Viele der als „geschlechtsspezifisch“ wahrgenommenen Unterschiede werden eher durch soziale Einflüsse geprägt als durch biologische Faktoren. Hier greift das Konzept der Epigenetik: Die Erziehung beeinflusst maßgeblich die Entwicklung eines Kindes. Laut Hüther haben Mädchen und Jungen unterschiedliche Lernstile. Mädchen sind oft in der Lage, sich besser auf Aufgaben zu konzentrieren, während Jungen aktiver sind und sich durch Bewegung ausdrücken.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Förderung von Selbstbewusstsein und Empathie, die für eine gesunde Entwicklung beider Geschlechter von Bedeutung sind. Für Mädchen erfolgt dies häufig durch die Stärkung ihrer sprachlichen und sozialen Fähigkeiten, während bei Jungen die Förderung von Selbstständigkeit und Problemlösungsfähigkeiten im Vordergrund steht.

Es ist von großer Bedeutung, dass wir als Eltern den natürlichen Entwicklungsweg unserer Kinder respektieren und keine Stereotype fördern, die bestimmte Verhaltensweisen als „geschlechtstypisch“ definieren. Umso wichtiger ist es, all diese Unterschiede zu erkennen, zu respektieren und zu berücksichtigen, statt sie zu verstärken oder zu ignorieren. Wir sollten in diesem Zusammenhang auch überlegen, getrennte Lernumgebungen in Betracht zu ziehen, um den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Ein konkretes Beispiel: Jungen benötigen mehr Gelegenheit, ihre Unabhängigkeit zu entwickeln und ihre eigenen Wege zu finden. Sie profitieren von klarer, aber liebevoller Führung sowie der Möglichkeit, durch praktische Erfahrungen zu lernen. Körperliche Aktivität spielt eine zentrale Rolle, ebenso wie die Freiheit, ihre Emotionen auszudrücken, ohne als „schwach“ angesehen zu werden. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns, um das gesellschaftliche Muster zu durchbrechen, dass Jungen und Männer keine Gefühle zeigen dürfen.

In Bezug auf Lernmethoden profitieren Jungen von mehr Bewegungsfreiheit und handlungsorientierten Lernansätzen, die ihre Neigung zu körperlicher Aktivität und praktischen Lösungen berücksichtigen.

Das Thema der emotionalen Ausdruckskraft ist ebenfalls von Bedeutung. Mädchen sind oft offener in der Kommunikation ihrer Gefühle, während Jungen in vielen Fällen dazu neigen, diese zu unterdrücken – ein Verhalten, das durch gesellschaftliche und kulturelle Normen verstärkt wird. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft darauf achten, solche Muster nicht unbewusst zu fördern, da dies langfristig dazu führen kann, dass Jungen zu vermeidenden Erwachsenen werden, die Schwierigkeiten haben, über ihre Gefühle zu sprechen, während Mädchen ängstlicher und weniger selbstbewusst werden.

Mädchen benötigen ein Umfeld, das ihre zwischenmenschlichen Fähigkeiten unterstützt und ihr Einfühlungsvermögen wertschätzt. Dabei geht es nicht nur darum, ihre Gefühle zu validieren, sondern ihnen auch beizubringen, diese auf gesunde Weise auszudrücken. Gleichzeitig sollten Mädchen die Möglichkeit haben, ihre Selbstständigkeit zu entwickeln und ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Ihre Lernumgebung sollte ruhig und strukturiert sein, damit sie gut in der Lage sind, soziale Lernprozesse zu integrieren.

Es ist entscheidend, dass wir beide Geschlechter dazu ermutigen, ein breites Spektrum an Interessen und Fähigkeiten zu entwickeln. Kinder sollten die Freiheit haben, sich sowohl emotional als auch in ihren Interessen zu entfalten, ohne durch stereotype Vorstellungen von „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ eingeschränkt zu werden.

Unabhängig vom Geschlecht sollte der Fokus auf Bindung und Achtsamkeit im Alltag liegen. Rituale wie gemeinsame Abendessen und tägliche Reflexionen fördern sowohl emotionale Nähe als auch Selbstreflexion. Klare, aber liebevoll vermittelte Grenzen helfen beiden Geschlechtern, Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln, ohne ihre Authentizität zu verlieren.

Abschließend möchte ich einen aktuellen Trend ansprechen, der kritisch hinterfragt werden sollte: Gender Streaming. Dieses Konzept stellt die Geschlechtsidentität als völlig soziale Konstruktion dar und ignoriert dabei biologische Unterschiede. Während die Agenda des Genderstreamings uns die Freiheit zur Ausdruck unserer Vielfalt verkaufen will, betonen viele Experten, dass biologische Unterschiede eine wesentliche Rolle in der Gehirnentwicklung und im Verhalten spielen. Die Natur hat uns als Mann und Frau konzipiert, was für das Fortpflanzungssystem von zentraler Bedeutung ist.

Die Betonung einer rein sozialen Konstruktion des Geschlechts ohne Berücksichtigung biologischer Faktoren kann zu Verwirrung führen, insbesondere bei jungen Menschen. Das Fehlen klarer Geschlechterrollen kann zu Identitätsunsicherheit führen und dazu, dass sich Menschen in Rollen gezwängt fühlen, die nicht zu ihnen passen. Es ist wichtig, diesen Trend kritisch zu betrachten und sich bewusst mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen.

Gerald Hüther und andere kritische Stimmen wie Raike Garve warnen davor, dass Genderstreaming von politischen und gesellschaftlichen Kräften genutzt werden könnte, um eine bestimmte Agenda durchzusetzen, die auf Entwurzelung und Manipulation abzielt. Ein Mangel an klaren Geschlechterrollen und traditionellen sozialen Strukturen kann dazu führen, dass Menschen sich verloren und entidentifiziert fühlen, was sie anfälliger für äußere Einflüsse macht.

Die Entwicklung von Jungen und Mädchen erfordert eine differenzierte, jedoch vereinigende Erziehung, die sowohl biologische als auch kulturelle Unterschiede berücksichtigt. Wenn wir diese Unterschiede respektieren, ohne in Stereotype zu verfallen, können wir Kindern dabei helfen, ihr volles Potenzial zu entfalten und ein gesundes, selbstbewusstes Leben zu führen.